Johann Frick

Fotograf

Ich werde oft gefragt, wie ich zur Fotografie gefunden habe. Deswegen möchte ich Euch meine Geschichte erzählen. Als ich 15 Jahre alt war, drehte sich mein Leben grösstenteils um den Sport. Ich habe zu dieser Zeit schon 6 Jahre meines Lebens dem Ringen intensiv gewidmet. Ich trainierte so gut wie jeden Tag und alles wurde dem Erfolg untergeordnet.

Als es 2006 darum ging, den vorläufigen Höhepunkt meiner noch jungen Karriere zu erreichen und mich bei den Deutschen Meisterschaften mit guten Ergebnissen für die Nationalmannschaft zu empfehlen, veränderte sich etwas. Ich konnte die Leistung, die ich mir durch jahrelanges, hartes Training erarbeitet hatte, nicht mehr abrufen.

Trotz anfänglicher Enttäuschung konnte ich das schlechte Ergebnis schnell abhaken, da ich gelernt hatte aus Niederlagen zu lernen und noch härter zu trainieren, um meinem grossen Ziel nahe zu kommen.

Ein Krankenhausbesuch, der dazu diente, den Leistungsabfall zu ergründen, änderte schliesslich alles.

Nach einigen routinemässigen Untersuchungen wurde ich zusammen mit meinem Vater zu einem Gespräch mit dem Oberarzt gebeten.

Was der Oberarzt mir eröffnete, traf mich wie ein Schlag ins Gesicht: Ich bekam die Diagnose Lymphknoten-Krebs.

Die Einzelheiten zogen verschwommen an mir vorbei und ich kann sie heute nicht mehr vollständig wiedergeben, aber das Gefühl, das die Diagnose damals in mir auslöste, werde ich niemals vergessen.

Es war, als ob etwas in mir brechen würde, meine Realität wurde innerhalb von Sekunden – ohne dass ich nur den kleinsten Einfluss darauf hatte tiefgreifend verändert. Mir wurde mit einem Mal ein grosser Teil dessen, was mich damals ausmachte und worüber ich mich grösstenteils definierte, genommen.

Ich musste zwangsläufig innehalten und mich nun mit ganz anderen Dingen auseinandersetzen: Dauer der Therapie, Nebenwirkungen, Überlebenschancen, mögliche zukünftige Einschränkungen.

Mit meinen 15 Jahren, noch sehr weit entfernt von charakterlicher Stabilität, herausgerissen aus meinem gewohnten Alltag, hatte ich nun sehr viel Zeit zum Nachdenken über das Leben und auch den Tod. Vieles was ich durch diese Erfahrung lernen durfte, war rückblickend ein Prozess, der über viele Jahre stattgefunden hat, doch eine Sache hat sich damals schon grundlegend verändert, und zwar mein Blick auf die Welt.

Banale Dinge des Alltags wie ein sonniger Nachmittag am Rhein waren für mich vollkommen und erfüllten mich mit tiefem Glück. Ich hatte das Gefühl nun das Wesentliche klarer zu sehen. Die Schönheit, Einzigartigkeit und auch Vergänglichkeit des Lebens.

Genauso veränderte sich mein Blick auf die Menschen. Durch Chemo- und Strahlentherapie veränderte sich mein Äusseres so sehr, dass mich manche Menschen aus meinem Umfeld nicht wiedererkannten. Ich lernte zu erkennen, wer über die Oberfläche hinwegsehen und trotz meiner äusserlichen Veränderung meinen Kern wahrnehmen konnte.

Diese Erfahrungen prägten nachhaltig, wie ich Menschen heute betrachte.

Ich begann damals, meinen veränderten Fokus festhalten zu wollen und kam somit schnell zur Fotografie. Wie sagt man so schön: Wenn sich eine Türe schliesst, öffnet sich eine neue.

Nach erfolgreichem Abschluss der Chemotherapie drückte mir mein Vater mit Tränen in den Augen meine erste eigene Kamera in die Hand.

Ich schaffte es zwar, mich sportlich zurückzukämpfen und nur ein Jahr nach meiner Diagnose wieder an den Deutschen Meisterschaften teilzunehmen, doch an das Niveau, das ich vor meiner Erkrankung an den Tag legte, kam ich nicht mehr heran. Mein Fokus verschob sich immer weiter zur Fotografie.

Seit 12 Jahren ist die Fotografie nun fester Teil meines Lebens. In dieser Zeit habe ich viele verschiedene Phasen durchlaufen. Man kann die Entwicklung der eigenen fotografischen Handschrift/ künstlerischen Identität ein Stück weit mit der Entwicklung, die man als Mensch macht, vergleichen.

Anfangs probiert man sich aus, ist sehr unsicher. Jedes Bild, das man teilt, macht einen verwundbar, jede Kritik kann einen tief treffen und tagelang beschäftigen. Mit der Zeit und den Erfahrungen die man macht, findet man immer besser zu sich selbst und schafft es so, immer mehr Selbstsicherheit zu gewinnen.

Die Fähigkeiten, die ich mir bis heute erarbeitet habe, sind nicht Grundlage von Talent, sondern von Durchhaltevermögen, schonungsloser selbstkritischer Auseinandersetzung und dem Drang, mich fortlaufend weiterentwickeln zu wollen.

Mit der Fotografie habe ich eine Sprache für mich entdeckt, die es mir ermöglicht, achtsam zu sein, meinen Fokus auf das Wesentliche zu lenken, mein Herz, meinen Verstand und meinen Blick in Einklang zu bringen und so etwas zu kreieren, was die Schönheit, Traurigkeit und Vollkommenheit jedes Menschen, jeder Sache und jedes Augenblicks widerspiegeln kann.

Sie erdet mich und ist Teil meiner Identität geworden. Sie gibt mir nicht nur die Möglichkeit, Momente festzuhalten, sondern auch auf Dinge aufmerksam zu machen. Die Fotografie gibt mir die Möglichkeit, Menschen emotional zu berühren.